Kerning (Unterschneidung) – eine Einführung.

Die typografische Kunst der Unterschneidung.

Bei Design-Projekten spielen Konzepte hinter einzelnen Details eine wichtigere Rolle, als ihre vermeintliche Einfachheit es zunächst vermuten lässt. Kerning ist ein gutes Beispiel dafür. Die Unterschneidung von Buchstaben kann die Ästhetik eines Projekts und die Kommunikation mittels Text enorm beeinflussen. Es handelt sich um ein gestalterisches Mittel, dass bei gekonnter Anwendung den meisten Lesenden gar nicht auffällt.

„Wenn du einmal anfängst, genauer hinzusehen“, sagt Designerin Madeline DeCotes, „wird dir klar, dass Buchstaben eine ganze Menge mehr transportieren können, als man gemeinhin annimmt.“

Was ist Kerning?

Als Kerning bzw. Unterschneidung bezeichnet man die Anpassung des Abstands zwischen einzelnen Buchstaben oder Zeichen. Anders als bei der Laufweite (Tracking), bei der der Abstand zwischen allen Buchstaben eines Worts gleichmäßig angepasst wird, geht es beim Kerning um das Aussehen der Schrift – also um die Schaffung von gut lesbarem Text, der optisch ansprechend wirkt. Schriften-Designende fügen um jeden Buchstaben herum Leerräume hinzu, manchmal auch zwischen Buchstabenpaaren. Diese Leerräume funktionieren aber nicht bei allen Projekten – insbesondere, wenn die Schrift anders eingesetzt wird als von der Designerin bzw. vom Designer vorgesehen. In solchen Fällen hilft eine manuelle Anpassung einzelner Zeichenabstände. Schönheit liegt bekanntlich im Auge der Betrachtenden, deshalb gibt es keine allgemeinen Regeln für das Unterschneiden von Buchstaben.

„Kerning ist ein extrem subjektiver Kunstgriff“, erläutert DeCotes. „Designende müssen sich den Abstand zwischen allen Buchstaben eines Wortes ansehen und sich fragen: ‚Ist da genug Leerraum? Oder eher zu viel? Sehen die Buchstaben zu gedrängt aus?‘“

Wann wird Kerning eingesetzt?

Es gibt viele Situationen, in denen sich die manuelle Unterschneidung von Buchstaben anbietet. Text, der bei kleiner Schriftgröße gut aussieht – z. B. im Spalten-Layout eines Zeitschriftenartikels –, kann bei starker Vergrößerung seltsam wirken, beispielsweise in einer Überschrift oder auf einer Werbetafel. Das kommt daher, dass kleiner Text mehr Platz zwischen den Buchstaben erfordert, um lesbar zu bleiben. Wenn du den Text vergrößerst, ohne die Räume zwischen den Zeichen zu verkleinern, gefällt dir das Ergebnis wahrscheinlich eher nicht.

Ein weiteres Beispiel: Logos. Auch hier lässt das automatische Kerning einer Schrift oft zu wünschen übrig. Das Design eines Logos erfordert die Berücksichtigung verschiedener potenzieller Anwendungsmöglichkeiten, z. B. Schilder, Websites, Kaffeebecher oder Stifte. Gute Designerinnen und Designer planen das Unterschneiden für jede dieser Anwendungsmöglichkeiten von Anfang an mit ein.

„Wenn man nicht im Design-Bereich tätig ist, denkt man über solche Dinge nicht nach“, sagt DeCotes. „Den meisten Leuten ist gar nicht bewusst, dass Überschriften auf Postern, Werbetafeln oder Websites meist mit großer Sorgfalt unterschnitten wurden.“

Kostenlos aus dem Internet heruntergeladene Schriften können problematisch sein, da ihr Standard-Kerning (auch metrisches Kerning genannt) nicht professionell gesetzt ist. Designer Nick Escobar weist darauf hin, dass kostenlose Schriften meist von Personen designt werden, die keine fachliche Ausbildung haben. „Oft muss die Unterschneidung manuell angepasst werden.“

Seine Faustregel lautet: „Je besser eine Schrift gezeichnet ist und je mehr Erfahrung die Designerin bzw. der Designer hat, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kerning korrigiert werden muss.“

Spielerischer Einsatz von Unterschneidung.

Der Mangel an festen Regeln für die Unterschneidung ist für Designende von großem Vorteil, die mit Text arbeiten, z. B. für Logos oder redaktionelle Projekte. Mittels Kerning lässt sich die optische Wirkung eines Designs verändern.

„Wenn man ein Logo mit interessanten Formen oder einer gewissen Dynamik gestalten möchte, kann man durch Herumspielen mit der Unterschneidung sehen, wie einzelne Buchstaben miteinander interagieren und zusammenwirken“, sagt Designer Jimmy Presler. Er führt das Beispiel des FedEx-Logos an, bei dem der Leerraum zwischen E und x einen Pfeil bildet.

DeCotes nennt ein weiteres Beispiel für bewusst eingesetzte Unterschneidung: „Wenn man sich den Schriftzug ‚Just Do It‘ [von Nike] anschaut, sieht man, dass die Buchstaben so eng unterschnitten sind, dass es sich dabei nicht um eine Standard-Schriftart handeln kann. Wenn die Unterschneidung aber nicht so eng wäre, wäre die Wirkung weit weniger prägnant und kraftvoll.“

Das Fazit? Nutze die Flexibilität von Kerning zu deinem Vorteil. Werde kreativ – finde neue Methoden, um Aussehen und Wirkung oder sogar die Bedeutung deines Schriftzugs zu beeinflussen.

„Ob super eng oder weit auseinander und luftig-angenehm ... Emotionen werden geweckt. Wie wenn man einen Punk-Song, Jazz oder eben ein klassisches Musikstück hört“, erklärt Presler.

Weitere Tipps zur Unterschneidung.

Auch wenn Kerning etwas Subjektives ist, solltest du folgende Expertentipps im Hinterkopf behalten.

1. Breche ein Wort auf seine Einzelteile herunter: Bearbeite Buchstaben paarweise. So schulst du dein Auge und kannst leichter Bereiche erkennen, die angepasst werden müssen.

2. Hole eine zweite Meinung ein: Eigene Fehler zu erkennen, ist schwer, besonders am Anfang. „Du bist Neuling? Lasse andere einen Blick auf deine Arbeit werfen“, rät Escobar.

3. Lege die Arbeit zwischendurch beiseite: Egal wie erfahren du bist – es ist wichtig, hin und wieder Abstand zu nehmen. „In diese Falle tappen viele. Es ist so leicht, sich mit der Perfektionierung winziger Details zu verzetteln“, gibt Presler zu bedenken. „Zwischendurch sollte man Pausen machen und einen klaren Kopf kriegen.“

4. Drucke deine Arbeit aus: Betrachte dein Werk auf Papier. „Ausdrucke in verschiedenen Größen helfen dir, zu erkennen, wo das Kerning verfeinert werden könnte“, so Presler.

5. Mache dich mit häufigen Fallstricken vertraut: Bestimmte Buchstabenkombinationen – etwa Buchstabenpaare mit diagonalen Linien wie A und V – müssen in der Regel angepasst werden. Großbuchstaben mit nachfolgenden Kleinbuchstaben sind ebenfalls oft problematische Kerning-Fälle. „Der erste Buchstabe nach einem Großbuchstaben muss oft stärker angepasst werden, besonders bei Serifenschriften“, so Designerin Robin Casey.

6. Übung macht perfekt: KERNTYPE, ein Online-Spiel zur Übung von Unterschneidung und Spationierung, gibt Feedback in Echtzeit. Anhand von Tutorials kannst du erweiterte Techniken mit Illustrator oder InDesign lernen.

Übung und Aufgeschlossenheit sind unverzichtbar, wenn du deine Kerningskills verfeinern willst. Setze deine neu erworbenen Kerning-Kenntnisse gleich um.